Beim kooperativen und kollaborativen Lernen liegt der Fokus darauf, dass mehrere Personen in einer Gruppe Lerninhalte gemeinsam erarbeiten. Gemäss Carell (2006) kann durch die Ko-Konstruktion ein vertieftes Verständnis des Lerngegenstandes erreicht werden. Der Begriff Computer Supported Collaborative Learning (CSCL) beschreibt soziales Lernen, bei dem der Lernprozess medial unterstützt wird (Stahl, Koschmann & Suthers, 2006). CSCL rückte anfangs der neunziger Jahre in den Fokus, da die technischen Fortschritte und die Entwicklung des Internets neue räumliche sowie zeitliche Potentiale als Grundlage ermöglichten (Niegemann, 2008). Fragen, welche mit diesen Potentialen einhergehen, beschäftigen sich unter anderem mit Themen der Anwendung, technischen Möglichkeiten sowie dem Nutzen.
In diesen Eintrag wird in einem ersten Schritt der Begriff Kollaboration genauer definiert, während anschliessend theoretische Konzepte und Grundlagen im Sinne von EdTech beschrieben werden. Basierend darauf werden in einem letzten Schritt Kriterien erstellt, welche eine Bewertung von CSCL-Anwendungen ermöglichen.
Die Begriffe Kooperation und Kollaboration sind sehr eng verbunden, werden aber unterschiedlich definiert. Johnson und Johnson (2008) unterscheiden das kooperative und das kollaborative Lernen kaum. Sie definieren beides, als eine Situation, in der Schülerinnen und Schüler zusammenarbeiten, um den eigenen Lernzuwachs und anderer zu maximieren. Etwas genauer hat es Dillenbourg (1999) formuliert und die beiden Begriffe differenziert. Er bezeichnet kooperatives Lernen als Situationen, in denen Lernende Gruppenaufgaben unter sich aufteilen und unabhängig arbeiten. Beim kollaborativen Lernen hingegen ist die Gruppe gefordert, eine Aufgabe kollektiv anzupacken, um sie durch Kommunizieren und gemeinsames Handeln zu erledigen. Dabei ist die didaktische Strukturierung zentral, damit keine Trittbrettfahrer-Effekte entstehen oder einzelne Schülerinnen und Schüler dominieren (Schaumburg & Prasse, 2018).
Computergestütztes kollaboratives Lernen kann sowohl dem Erreichen von individuellen als auch kollaborativen Lernzielen dienen (Vogel & Fischer, 2018). Das Erreichen dieser Lernziele setzt gemeinsames Arbeiten voraus, so dass im Idealfall der individuelle Erfolg von der gesamten Gruppe abhängt und sich der Gruppenerfolg positiv auf die individuellen Lernziele auswirkt (Johnson & Johnson, 2009). Im Folgenden werden die Grundmechanismen des kollaborativen Lernens beschrieben.
Vogel und Fischer (2018) beschreiben drei Perspektiven von computerunterstütztem kollaborativen Lernen, welche hier grob zusammengefasst werden. Die erste Perspektive umfasst individuell-kognitive Veränderungen. Der Fokus liegt dabei auf dem Individuum, welches durch Interaktionen mit anderen Lernenden Wissen und Fertigkeiten weiterentwickeln kann. Es wird zwischen einem dialektischen und und einem dialogischen Ansatz unterschieden. Der dialektische Ansatz ist so zu verstehen, dass sich die Lernenden durch unterschiedliche Sichtweisen gegenseitig zu Diskursen anregen, welche dann zur Weiterentwicklung von kognitiven Strukturen dienen (Vogel & Fischer, 2018). Der dialogische Ansatz basiert auf gegenseitiger Übereinstimmung, wobei die Lernenden ihr individuelles Wissen sowie ihre Fertigkeiten aufgrund der Unterstützung durch andere weiterentwickeln und so kognitive Veränderungen entstehen können.
Die zweite Perspektive beschreibt das Lernen als soziale Ko-Konstruktion. Sie bezieht sich auf die gemeinsamen und wechselseitigen Gruppenprozesse, welche den individuellen und gemeinsamen Erwerb von Wissen und Fähigkeiten fördern. Dabei ist zentral, dass die Lernenden die Aktivitäten wie beispielsweise Aushandlungsprozesse darauf ausrichten, gemeinsam geteiltes Wissen zu erreichen. Das gemeinsame Regulieren von Gruppenprozessen als soziale Ko-Konstruktion ist laut Vogel und Fischer (2018) beim kollaborativen Lernen notwendig. Die Selbstregulation (mein Lernen), die Ko-Regulation (dein Lernen) und die geteilte Regulation (unser Lernen) sowie ihre Konstellationen sollen hilfreich für das kollaborative Lernen sein. Dabei sollte jeder die persönlichen Lernziele und die Lernziele der Gruppenmitglieder verfolgen. Für das kollaborative Lernen ist es daher wichtig, dass die Lernenden gemeinsam Lernziele entwickeln und zusammen den Lernprozess zur Erreichung dieser Lernziele regulieren (Vogel & Fischer, 2018).
Die Communities of Practice (CoPs) umfassen die dritte Perspektive. CoPs verstehen das Lernen nicht nur als kognitiver, sondern als ganzheitlichen Lernprozess, welcher auch die Entwicklung der Individuen und die Einbindung in eine CoPs beinhaltet (Lave & Wenger, 1991). Innerhalb dieser Gruppen gibt es unterschiedliche Rollen, welche dynamisch sind und durch die Partizipation von neuen Mitgliedern verändert oder übernommen werden können.
Auch beim computerunterstützten kollaborativen Lernen gibt es Herausforderungen. Einerseits spielt die Motivation eine wesentliche Rolle. Die intrinsischen Lernmotivation kann durch Kompetenzerleben (Strukturierung), Autonomieerleben (viel Freiheit) und die soziale Eingebundenheit des Lernenden (kollaborative Aspekt) nach der Selbstbestimmungstheorie von Ryan und Deci (2000) beeinflusst werden. Die extrinsischen Lernmotivation kann gefördert werden, wenn auf Grundlage von Leistungen die gesamte Gruppe belohnt wird. Andererseits sollte ein gemeinsames inhaltliches Verständnis entwickelt werden, auch wenn unterschiedliche Sichtweisen aufeinandertreffen. Zudem müssen die Gruppenmitglieder, um effektiv zusammenzuarbeiten, ein gemeinsames Verständnis bezüglich des kollaborativen Lernprozesses entwickeln, wie beispielsweise Zielsetzung, Identifikation mit der Gruppe oder Lernzielorientierung (Vogel & Fischer, 2018). Aus diesem Grund können computerunterstützte Fördermassnahmen hilfreich sein, um den Herausforderungen zu begegnen.
Eine Möglichkeit, den kollaborativen Lernprozess zu unterstützen und zu optimieren, besteht in der Verwendung von Kollaborationsskripts. Sie strukturieren den Lernprozess auf verschiedenen Aktivitätsebenen (zunehmend spezifische Handlungsanweisungen) und bestimmen die Rollen der Lernenden sowie die Abfolge der Handlungen (Vogel & Fischer, 2018). Niegemann et. al. (2008) verwenden synonym den Begriff Kooperationsskripts, welcher ursprünglich dem kooperativen Textlesen entstammt. Beide beinhalten identische Funktionen wobei Niegemann et. al. (2008) zusätzlich die Zuordnung von Strategien erwähnen. Zu den Funktionen von Skripts gehören die Sequenzierung (z.B. durch Teilaufgaben), die Rollenverteilung innerhalb der Gruppe, kooperative Strategien (z.B. Zusammenfassungen, Fragen, Begriffsklärung, Prognosen), soziale Kooperationsskripts (regulieren soziale Interaktionen wie z.B. Feedbackform) sowie die epistemischen Kooperationsskripts (z.B. Fokussierung relevanter Inhalte). Bei der Sequenzierung geht es darum, eine Aufgabe in mehrere Teilaufgaben zu unterteilen (Niegemann et. al., 2008). Somit können sich mehrere Lernende an einer Gesamtaufgabe beteiligen und die Effizienz der Arbeit steigern (Ertl & Mandl, 2006). Die Rollenverteilung beinhaltet die Zuschreibung spezifischer Rollen (Ertl & Mandl, 2006). Beispiele für solche Rollen sind Erklären oder Prüfen. Diese Rollen beinhalten wiederum kooperative Strategien. So kann unter der Erklärrolle eher die Veranschaulichung und Abstraktion verstanden werden, während die Prüferrole eher kritisches Fragestellen beinhaltet. Diese Strategien werden in verschiedenen Phasen des Arbeitsprozesses angewendet (Niegemann et. al., 2008). Unter sozialen Kooperationsskripts verstehen Niegemann et. al. (2008) die Organisation der sozialen Interaktion unter den beteiligten Lernenden, welche wiederum Strategien wie beispielsweise Feedbacks beinhalten. Die epistemischen Kooperationsskripts beziehen sich auf die Wissenskonstruktion und haben zum Ziel, wichtige Inhalte zu fokussieren und strukturieren (Niegemann et. al., 2008). Kollaborationsskripts lassen sich anhand dieser Funktionen und in Bezug der zuvor erörterten Perspektiven der Mechanismen (individuell-kognitive Veränderungen, Lernen als soziale Ko-Konstruktion und Communities of Practice) ausarbeiten (Vogel & Fischer, 2018).
Awareness-Tools sind Werkzeuge, welche die gegenseitige Wahrnehmung einer Lerngruppe verbessern können (Vogel & Fischer, 2018). Sie haben zum Ziel, die kognitiven und sozialen Merkmale einer Gruppe zu erfassen und dokumentieren. Dadurch ist es möglich, Interaktionen, Fortschritte und Prozesse einer Gruppe oder einzelner Mitglieder transparent darzustellen. Laut Vogel und Fischer (2018) lässt sich durch das Bewusstsein dieser Merkmale der kollaborativen Lernprozess einer Lerngruppe unterstützen. In CSCL-Umgebungen besteht der Vorteil, die Datenerhebung sowie die Echtzeitauswertung automatisieren zu können.
Die Strukturierung eines Unterrichtsablaufs erhöht laut Notari und Döbeli Honegger (2013) die Effektivität der Zusammenarbeit. Als Kollabortionskript für ein Wiki verwenden sie das ABAHCOCOSUCOL-Modell (Action BAsed, Hypertext-COnstructive, COmputer SUpported, COllaborative Learning-Model). Dieses fokussiert Lernszenarien für die Eigenaktivität und strukturiert das gemeinsame Arbeiten der Lernenden an einem Hypertext. Das Modell beschreibt unterschiedliche Lern- und Aktivitätsphasen. Im Zentrum steht das Erstellen von Hypertexten zu einem bestimmten Thema. Dieses bestimmt die erste Phase. In weiteren Phasen sollen die Texte unter anderem kommentiert, verglichen, verlinkt und gruppiert werden, bis der Zyklus wiederum von neuem beginnt. Die folgende Grafik zeigt einen Zyklus auf, der bei der Generierung von Inhalten beginnt und durch Verlinken und Kommentieren fortgeführt wird. Durch Verlinkung und Kommentierung wird der Fokus wichtiger Inhalte er- und ausgearbeitet. Sind in einem Wiki-Eintrag die von der Gruppe als wichtig erachteten Inhalte zusammengefasst, kann ein weiterer Artikel erstellt werden, wobei sich der Zyklus wiederholt.
ABAHCOCOSUCOL-Modell nach Notari (2006)
Dillenbourg, P. (1999). Collaborative learning: Cognitive and computational approaches. London: Pergamon.
Ertl, B. & Mandl, H. (2006). Kooperationsskripts. In H. Mandl & H. F. Friedrich (Hrsg.), Handbuch Lernstrategien (S. 273−281). Göttingen: Hogrefe.
Johnson, D. & Johnson, R. (2008). Cooperation and the use of technology. In J. M. Spector, M. D. Merrill, J. van Merrienboer, & M. Driscoll (Hrsg.), Handbook of research on educational communications and technology (3. Aufl., S. 1017-1044). New York: Taylor & Francis.
Lave, J. & Wenger, E. (1991). Situated learning. Legitimate peripheral participation. Cambridge: Cambridge University Press.
Niegemann, H., Domagk, S., Hessel, S., Hein, A., Hupfer, M. & Zobel, A. (2008). Kompendium multimediales Lernen. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag.
Notari, M. & Döbeli Honegger, B. (2013). Der Wiki-Weg des Lernens (1. Auflage). Bern: hep Verlag.
Schaumburg, H. & Prasse, D. (2018). Medien und Schule. Theorie - Forschung - Praxis. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag.
Stahl, G., Koschmann, T. & Suthers, D. (2006). Computer-Supported Collaborative Learning. In K. R. Sawyer (Hrsg.), The Cambridge Handbook of the Learning Science (S. 409−425). New York: Cambridge University Press.
Vogel, F. & Fischer, F. (2018). Computerunterstütztes kollaboratives Lernen. Berlin Heidelberg: Springer Verlag.
-- MaikLau - 24 May 2020