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E-Mail ist das neue Papier

Früher habe ich mich als digital Arbeitender über Mitmenschen geärgert, die mir mit dem Computer geschriebene Protokolle oder Textentwürfe ausgedruckt übergaben: «Zu deinen Akten.» Mit dem Papier in der Hand fragte ich mich, wie ich dem Gegenüber am besten erkläre, dass Papier in meinem Arbeitsablauf meist einen Fremdkörper und damit einen Bremsklotz darstellt. «Weisst du», sagte ich,
«digital hätte ich dein Dokument immer dabei. Ich könnte es mit der Volltextsuche finden und durchsuchen sowie bei Bedarf daran weiterarbeiten, ohne alles neu schreiben zu müssen...» Das half meist wenig. Oft bekam ich zur Antwort: «Bei Papier habe ich wenigstens etwas in den Händen, wenn der Computer mal nicht funktioniert. » (An der Signatur «Denken Sie an die Umwelt, bevor Sie diese E-Mail ausdrucken!» erkenne ich, dass die Phase des Mail-Ausdruckens noch nicht überall vorbei zu sein scheint.)

Szenenwechsel ein paar Jahre später: Heute ärgere ich mich über Mitmenschen, die mir Protokolle oder Textentwürfe per E-Mail schicken: «Zu deinen Akten.» Angesichts der zunehmenden Mailflut denke ich für mich: «Können diese Leute keinen Cloudspeicher verwenden?» Damit müsste ich nicht alles manuell ablegen. Dank Synchronisation hätten alle Beteiligten immer die neueste Dokumentenversion vor sich. Auch das hilft aber wenig, und ich höre: «Bei diesen Cloudspeichern müsste ich ein kostenpflichtiges Abo lösen, die Daten wären weiss nicht wo, und ich hätte ständig Angst, dass jemand im geteilten Ordner Dateien löscht.»

Szenenwechsel zu meinen jüngeren Arbeitskolleginnen und -kollegen: Diese fangen langsam, aber nicht mehr ganz heimlich an, sich darüber zu ärgern, dass ich Texte, Tabellen und Präsentationen noch auf dem eigenen Gerät erstelle und erst danach in einem Cloudspeicher teile. «Weisst du,» sagen sie mir, «würdest du das Dokument in einem Web-Editor eröffnen, könnten alle gleichzeitig daran arbeiten. Und das Web-Tool böte auch mehr Möglichkeiten als dein lokales Programm.» Weiss ich: «Aber bei einem synchronisierten Cloudspeicher habe ich die Daten auch dann zur Verfügung, wenn das Internet mal nicht funktioniert. »

Oh – ich schmunzle also heimlich über Mitmenschen, die sich davor fürchten, dass ihr Computer nicht funktioniert, und deshalb im Papier Sicherheit suchen. Gleichzeitig argumentiere ich mit dem manchmal fehlenden Internet und klammere mich an Cloudspeicher. (Ich kann meine Angst aber immerhin rational begründen: Ich erlebe durchaus Zugstrecken und Sitzungszimmer in Stahlbetonhäusern ohne Handyempfang oder zugängliches WLAN.)

Szenenwechsel in eine nicht allzu ferne Zukunft: Dannzumal digital affine Menschen werden sich über weniger digital affine Menschen ärgern, die noch Werkzeuge verwenden, die mit einzelnen abgegrenzten Dokumenten arbeiten. Die Zukunft gehört Stream, denn alles fliesst, und das Ende eines Stadiums ist der Anfang des nächsten. Wer will da noch altmodisch an Dokumenten festhalten?

Die digitale Transformation ist kein einmaliger Wandel, den es einfach mitzumachen gilt, sondern ein grosser Wandel, der aus vielen kleinen Wandeln besteht. Wir alle werden an einem gewissen Punkt nicht mehr zu den Innovativen, sondern zur späten Mehrheit oder sogar zu den Nachzüglerinnen und Nachzüglern gehören. Ich versuche bereits heute, Verständnis für diese Nachhut aufzubringen – auf dass man irgendwann auch mit mir Nachsicht üben möge!

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