Angesichts dessen, wie intensiv heutzutage via digitale Medien kommuniziert und diskutiert wird und dass sich gar Paare online verlieben, wird es zunehmend schwieriger, zu argumentieren, dass mit 0 und 1 keine Gefühle und kein echter Austausch möglich seien. Mit dieser Sichtweise müsste man auch der gesamten Weltliteratur die Fähigkeit absprechen, das echte Leben abzubilden – schliesslich bestehen alle Bücher nur aus einer Wiederholung der immer gleichen 26 Buchstaben.
Problematischer ist aber, dass in öffentlichen Diskussionen zu digitalen Werkzeugen in der Schule noch immer grob vereinfachte Sichtweisen und Argumente vorherrschen. Tablets sind entweder gut oder böse, Smartphones nützen oder schaden, und der Computereinsatz wird dem Ausflug in den Wald gegenübergestellt, als ob nicht beides möglich wäre – sowohl nacheinander als auch gleichzeitig. Exemplarisch lässt sich das derzeit an der Diskussion des Buches «Generation Angst» des Psychologen Jonathan Haidt ersehen. Haidt argumentiert anhand von Statistiken, dass die psychischen Probleme von Kindern und Jugendlichen seit 2010 massiv zugenommen hätten. Aus der Tatsache, dass ungefähr zur gleichen Zeit Smartphones und Tablets erfunden worden sind, schliesst er, dass diese die alleinige Ursache dieser Probleme sein müssen. Zahlreiche Medien nahmen diesen Sommer diese Thesen auf und schafften es innerhalb eines einzigen Artikels, von den durchaus vorhandenen problematischen Aspekten von Social Media für Kinder und Jugendliche gleich zu einem kompletten Verzicht auf sämtliche Computer in der Schule zu kommen. Dass andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein differenzierteres Bild zeichnen und aufzeigen, dass soziale Medien und Smartphones meist bereits vorhandene Probleme verstärken, aber nicht häufig neue schaffen, blieb zumeist ungehört.
Es stimmt mich nachdenklich, dass wir in diesen Diskussionen seit über 20 Jahren oft nicht weiterkommen und im Schwarz-Weiss-Denken verhaftet bleiben. Somit bin ich in einem Punkt einig mit den extremen Kritikerinnen und Kritikern des Digitalen in der Schule. Auch ich wünsche mir dringend «mehr als 0 und 1 bitte!».