Session "Die Leiden der jungen Informatikdidaktik"

Worum geht es?

Die Entwicklung bezüglich "Informatik in der Schule" in der Schweiz ist auf den ersten Blick höchst erfreulich: Auf allen Schulstufen und in allen Landesteilen wird Informatik einigermassen verbindlich in die Lehrpläne integriert ("Medien und Informatik" im Lehrplan 21 der deutschsprachigen Volksschule, "PER numérique" in der Romandie und das obligatorische Fach Informatik an den Gymnasien).

Aber nur weil ein Thema oder Fach in den Lehrplan geschrieben wird, ist es noch lange nicht in der Schulpraxis verankert. Derzeit stehen wir in der Schweiz vor einem grösseren Übergangsproblem: Es fehlt auf allen Stufen des Bildungssystems an Informatik-Fachwissen. Konkret bedeutet dies:

  • Insbesondere in der Volksschule reichen die bisherigen Weiterbildungen für die meisten Lehrpersonen nicht. Einige Lehrpersonen sind auch nach einer (Primarschule) bzw. drei (Sek I) Wochen Weiterbildung nicht in der Lage, die Aufgaben für Schüler:innen im Lehrmittel zu lösen.
  • Auch die Quereinsteigerweiterbildung für künftige Informatiklehrpersonen am Gymnasium bekundet teilweise Mühe, das für Informatiklehrpersonen am Gymnasium als notwendig erachtete Fachwissen zu vermitteln.
  • Im Fachdidaktikmaster "Medien und Informatik" steht ebenfalls vergleichsweise wenig Zeit für die fachliche Ausbildung in Informatik zur Verfügung. Dies erschwert bzw. verunmöglicht danach gewisse fachdidaktische Diskussionen. Studierende ohne Informatikvorbildung sehen sich auch nach dem Studium nicht als Informatiker:innen.

Diese Beobachtungen sind weder als Kritik noch als Schuldzuweisung zu verstehen. Sie sind unvermeidbare Effekte der Einführung eines neuen Schulfachs unter Zeitdruck.

Warum ist das problematisch?

Das fehlende Fachwissen kann in verschiedener Hinsicht problematisch sein:
  • Lehrpersonen und Fachdidaktiker:innen sind nicht optimal in der Lage, ihren Schüler:innen das Thema Informatik zu vermitteln.
  • Es besteht die Gefahr, dass Schüler:innen das Thema Informatik als schwammig und unverständlich empfinden, wenn ihre Lehrpersonen Informatik-Konzepte und -Phänomene nicht vollständigverstehen und erklären können.
  • Gegenüber anderen Themen und Fächern in der Schule erscheint Informatik als weniger seriös / wichtig, da im Vergleich zu anderen MINT-Fächern weniger Fachwissen sichtbar und verteidigt wird.

Was ist zu tun?

Es ist nicht ungefährlich, auf diese Problematik hinzuweisen - es könnte von aussen als "Jammern auf hohem Niveau" betrachtet werden oder gar als Begründung zur Reduktion des Informatikunterrichts verwendet werden ("Das ist zu anspruchsvoll, das begreift eh niemand"). Innerhalb der Fachdidaktikcommunity sollten wir uns aber diesem Elefanten im Raum annehmen und diskutieren, wie damit umzugehen ist - selbst wenn keine raschen Lösungen zu erwarten sind.

Konkret:
  • Geht es schlicht darum, entsprechende Frustrationstoleranz bzw. Geduld zu entwickeln (und 15 Jahre lang zu warten)?
  • Wäre es wichtig, gegen aussen aufzuzeigen, dass auch niemand erwarten würde, eine Fremdsprache oder eine Fremdsprachendidaktik in so kurzer Zeit aufzubauen ("Chinesisch ist neu im Lehrplan...") ?
  • Müssen wir die fachlichen Ziele anpassen? Was bedeutet das im Vergleich zu anderen MINT-Fächern?
  • Vermutlich keine gute Strategie wäre, mehr Zeit von der Bildungspolitik zu verlangen.

Was hat die Diskussion an der Rigi-Tagung ergeben?

  • Uneinheitliche Problemeinschätzung: Nicht alle Teilnehmenden waren mit der obigen Problembeschreibung einverstanden. Gewisse Teilnehmende meinten, dass dieses Problem auch in anderen Fächern bestehe und PH-Studierende in anderen Fächern nicht wirklich Maturniveau aufweisen würden. Das Argument, dass doch ein Unterschied bestehe, ob jemand 12 Jahre Mathematik gehabt habe vor dem PH-Studium oder 0 Jahre Informatik, konnte nicht restlos überzeugen.
    Auf den ersten Blick schien es, als ob Teilnehmende mit abgeschlossenem Informatikstudium das Problem als grösser einschätzten als Teilnehmende ohne ein entsprechendes Fachstudium.
  • Standardisierung von Inhalten: Als mögliche Massnahme wurde die Standardisierung von Inhalten vorgeschlagen (z.B. Programmiersprache), damit Unterrichtsmaterial etc. besser ausgetauscht werden könne und damit die Effizienz von Aus- und Weiterbildungen steigen würden.
  • Publikation: Nicht gross verfolgt wurde der Vorschlag, das Problem in einer Publikation detaillierter zu beschreiben.
  • Zurverfügungstellen von Prüfungen auf verschiedenen Niveaus: Etwas länger diskutiert wurde der Vorschlag, Prüfungen auf verschiedenen Niveaus zu erstellen und zu veröffentlichen, da vielen gar nicht klar sei, welches Kompetenzniveau denn auf welcher Stufe denn erwartet werde.
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