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Informatik-Argumente

Konstruktionismus-Argument

“Um etwas Konstruieren zu können, muss man es verstanden haben” argumentiert Seymour Papert und prägte in Anlehnung an den Konstruktivismus (Biblionetz:w00101) den Begriff des Konstruktionismus (Biblionetz:w00561) als Bezeichnung für das Lernen durch Konstruieren. Mit diesem Konstruktionismusargument (Biblionetz:a00163) stellt sich Papert in die Tradition von John Dewey, Maria Montessori und Jean Piaget mit dem Grundgedanken, dass Menschen lernen, wenn sie etwas tun und darüber nachdenken, was sie tun. Die Methode hat Ähnlichkeiten mit “Lernen durch Lehren”. Die Schülerinnen und Schüler versuchen, die Konzepte einem Computer statt anderen Menschen zu “erklären”, der Computer wird somit zum Schüler und der Schüler zum Lehrer. Die Informatik bietet zahlreiche Werkzeuge, um Dinge im virtuellen Raum mit Computern zu simulieren oder im realen Raum zum Beispiel mit Robotern zu konstruieren und dadurch viel über Mathematik, Geometrie, Physik, Volkswirtschaft usw. zu lernen. So erfand Papert 1968 die Programmiersprache LOGO, mit der Kinder eine Schildkröte auf dem Bildschirm in einer Mikrowelt steuern können und sein Buchtitel Mindstorms war namensgebend für die programmierbaren Roboter des Spielzeugherstellers LEGO. Diese Art des Lernens ist situiert, enaktiv und bietet sofortige (Biblionetz:a00457) und sanktionsfreie (biblionetz:a00458) Rückmeldungen: Wenn das erstellte Modell das gewünschte Verhalten zeigt, so ist es vermutlich korrekt, ansonsten gilt es nachzubessern.

Wissenschafts-Argument

Das Wissenschaftsargument (Biblionetz:a01046) überträgt das Modellieren und Simulieren auf Wissenschaft und Forschung, also vom Lernen einer Einzelperson auf das Lernen der Gesellschaft. Die Wissenschaft kennt seit dem Altertum die Theorie als Methode zur Wissensgenerierung. Im Verlaufe der Zeit gesellte sich das kontrollierte Experiment als zweites Standbein dazu. In den letzten 20 Jahren hat sich dank Informatik und Computern Simulation als wichtige Erkenntnismethode neben Theorie und Experiment etabliert.a933 Viele Wissenschaftszweige - nicht nur in den Naturwissenschaften - haben eigene Unterbereiche mit Lehrstühlen und Ausbildungsgängen im Bereich Computational XY: Computational Physics, Computational Biology, Computational Linguistics usw. Der Urknall lässt sich nicht nachbauen, aber simulieren. Neue Proteine und Medikamente werden oft erst im Computer simuliert, bevor sie im Labor auch chemisch hergestellt werden. Neben Wetter- und Klimaentwicklungen werden auch menschliche Entscheidungen, seien dies Fluchtwege in Gebäuden oder Kaufentscheidungen in Warenhäusern digital modelliert und simuliert. Simulation hat eine solche Bedeutung in der Wissenschaft gewonnen, dass Informatik wie Mathematik als Wissenschaftspropädeutik ins Gymnasium gehört.

Denkobjekt-Argument

Informatik und die damit realisierbaren Systeme bieten sich auch als Objekte an, um über verschiedene wichtige Konzepte unseres Lebens nachzudenken (Biblionetz:a00161). Was ist Intelligenz? Was ist Leben? Was ist der eigene Wille? Das sind Fragen, die sich angesichts der Möglichkeit, gewisse menschliche Verhaltensweisen zu simulieren, anders diskutieren lassen. Damit werden Informatik und Computer zu einem Objekt philosophischer Überlegungen, die sich bereits kleine Kinder machen. Neben dieser eher abstrakten Ebene werden die Fragen bald sehr handfest, je stärker die Automatisierung voranschreitet: Wie sieht die Verantwortung bei selbstfahrenden Autos und autonom agierenden militärischen Maschinen aus?

Problemlöse-Argument

Informatik als Denkwerkzeug hat nicht nur im Bildungs- und Wissenschaftsbereich etwas zu bieten. Das Problemlöseargument (Biblionetz:a01052) zielt auf den Alltag: Informatik stellt Werkzeuge und Verfahren zur Verfügung, wie sich auch im Alltag Probleme strukturiert beschreiben, diskutieren und damit besser lösen lassen - auch ohne dass Computer zum Einsatz kommen. So können zum Beispiel Flussdiagramme helfen, Abläufe zu verstehen und zu optimieren, unterschiedliche Datenstrukturen wie Listen, Tabellen, Bäume und Graphen unterstützen das problemgerechte Erfassen, Verarbeiten und Darstellen von Daten und Visualisierungstechniken wie Concept Maps helfen beim Nachdenken über Strukturen und Zusammenhänge. Bei der Beschäftigung mit Informatik lernt man diese Werkzeuge kennen und schult auch das entsprechende Denken. Viele dieser Konzepte und Werkzeuge existieren nicht erst seit der Entstehung der Wissenschaft Informatik. Doch erst die Informatik macht den Umgang mit solchen Werkzeugen explizit zum Thema. Guter Informatikunterricht fördert daher nicht nur die Nutzung solcher Konzepte und Werkzeuge, sondern hilft Schülerinnen und Schülern auch, künftig selbst die geeigneten Denkwerkzeuge zu finden. So bietet sich Informatik an, über Problemlöseheuristiken oder den Unterschied zwischen Korrektheit und Viabilität (Biblionetz:w00170) nachzudenken.

Arbeitstechnik-Argument

Interpretiert man das Problemlöseargument etwas breiter, so landet man beim Arbeitstechnikargument (Biblionetz:a01235) Mit Informatik lässt sich das präzise Planen, Arbeiten und Kommunizieren im Team üben. Selbstverständlich bietet nicht nur Informatik diese Möglichkeit, das Arbeitstechnikargument zeigt jedoch, dass Informatik neben Fachkompetenzen auch zur Ausbildung überfachlicher Kompetenzen beitragen kann. Zudem haben Informatiker für ihre Arbeit Werkzeuge für das gemeinsame, zeit- und ortsunabhängige Arbeiten entwickelt, die unterdessen weit über den Bereich Informatik hinaus genutzt werden. So wurde beispielsweise das Konzept von Wikis (Biblionetz:w01268) ursprünglich zur Dokumentation von Softwareprojekten entwickelt, heute wird damit das weltgrösste Lexikon Wikipedia betrieben und zahlreiche Unternehmen nutzen Wikis als unternehmensinternes Wissensmanagementwerkzeug (Biblionetz:w01908). In ihrem Buch Wikinomics (Biblionetz:b3029) zeigen Don Tapscott und Anthony Williams, dass Wikis zu einer Metapher des gemeinsamen Arbeitens geworden sind, bei der das gemeinsame Produkt über den Gewinn des Einzelnen gestellt wird. Die Thematisierung und Nutzung von informatischen Werkzeugen wie Wikis hilft somit einerseits, informatische Konzepte und Werkzeuge wie Hypertextstrukturen oder Versionsverwaltung zu verstehen und effizient nutzen zu können. Andererseits können damit auch Arbeitsweisen der Informationsgesellschaft erlernt und geübt werden.

Interesse-Argument

Unsere Welt ist stark digital geprägt. Informatiksysteme sind ein fester Bestandteil der Lebenswelt der Jugendlichen, aber sie finden bisher wenig Eingang in der Schule. Während Schülerinnen und Schüler, die sich für Sprache, Literatur, Kunst etc. interessieren, von der Schule gut bedient werden, kommen diejenigen, die sich für technische Themen interessieren, kaum auf ihre Rechnung. Schule wird verschiedentlich als sprachlastig wahrgenommen. (Biblionetz:a00927) Dabei geht es nicht nur um inhaltliche Aspekte. Auch Arbeitsmethoden in der Schule sind oft sprachlastig: Es muss etwas geschrieben oder in Vortragsform präsentiert werden. Mit der Integration von Informatik in der Schule erreicht man vermehrt Schülerinnen und Schüler, die sich eher für die technischen Seiten unseres Lebens interessieren und ingenieursmässiges Problemlösen schätzen. Dieses Interesseargument (Biblionetz:a01236) lässt sich nicht nur auf die Informatik anwenden, sondern gilt in ähnlicher Form für alle MINT-Fächer.

Berufswahl-Argument

Die Informatikbranche selbst führt oft den Informatikermangela929 als wichtige Begründung für Informatik in der Schule an. “Schülerinnen und Schüler können sich unter Informatik wenig vorstellen und kommen so gar nicht auf die Idee, Informatik zu studieren oder eine Berufslehre im Bereich der Informatik zu machen” so das Berufswahlargument (Biblionetz:a01049). Obwohl eine aktuelle Untersuchung anhand der Einführung des Fachs Informatik an den Bayerischen Gymnasien den Zusammenhang zu bestätigen scheint,(Biblionetz:t16786) ist das Argument mit Vorsicht zu geniessen. Berufvorbereitung ist nur eine kleine Aufgabe der allgemeinbildenden Schule und es ist nicht sinnvoll, für jede Berufssparte mit Nachwuchsproblemen ein entsprechendes Schulfach einzuführen. Zudem zeigt beispielsweise das Fach Medizin, dass für einen Studierendenandrang nicht zwingend ein entsprechendes Schulfach notwendig ist. Gleichwohl hat das Argument seine Berechtigung, als dass die Schule aktuell oft ein falsches Bild der Informatik vermittelt, wenn an gewissen Schulen sogar das Erlernen des Zehnfingersystems im Stundenplan als Informatik bezeichnet wird. Da ist dann nicht verwunderlich, wenn sich potenzielle Informatikstudierende vom Fach distanzieren mit der Begründung “Ich will etwas anspruchsvolles studieren!”.

Welterklärungs- oder Mündigkeitsargument

Unabhängig davon, ob sich Schülerinnen und Schüler für Informatik interessieren: Ihre Lebenswelt ist zunehmend davon geprägt. Gemäss dem Welterklärungs- oder Mündigkeitsargument (Biblionetz:a01050) hat die allgemeinbildende Schule die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler auf ein mündiges Leben vorzubereiten, so dass sie sich in der Berufswelt, der Gesellschaft und im Privatleben zurechtfinden und mitgestalten können. Dies ist bereits heute ohne ein Verständnis grundlegender Konzepte der Informatik nicht mehr möglich. Am deutlichsten drückt dies der Buchtitel Program or Be Programmed (Biblionetz:b04175) von Douglas Rushkoff aus: Wer die digitale Welt nicht versteht, kann sie nicht mitprägen und ist ihr damit ausgeliefert.

Das Welterklärungs- oder Mündigkeitsargument zielt nicht primär auf Anwendungs- oder Bedienkompetenzen. Gegenargumente wie: “Meine Heizung, mein Kühlschrank und mein Auto funktionieren auch ohne dass ich etwas von Physik und Chemie verstehe. Warum sollte ich etwas von Informatik verstehen müssen, nur um Computer nutzen zu können?” zielen damit am Kern des Arguments vorbei. Die Realität zeigt ja durchaus, dass sich Suchmaschinen und soziale Netze ohne Informatikkenntnisse nutzen lassen. Die Nutzer sind aber diesen Diensten ausgeliefert, da sie keine Ahnung von den dahinter stehenden Mechanismen haben. Wer weiss, dass Zeitungen von Werbung leben, wird Artikel bezüglich einer bestimmten Branche oder eines bestimmten Produktes mit anderen Augen lesen. Wer weiss, dass und wie viele Suchmaschinen die Ergebnisse zu personalisieren versuchen, wird sein Suchverhalten anpassen und die Resulate anders gewichten. Physik erklärt, dass ein Handy nicht ohne Strahlung auskommt, aber auch, wie die eigene Strahlenexposition minimiert werden kann. Informatik erklärt, dass und welche Daten systembedingt durch die eigene Internetnutzung entstehen, aber auch, wie diese Daten minimiert können.

Konzeptwissen-Argument

Wer einmal Autofahren gelernt hat, musste bisher für den Rest seines Lebens nicht mehr umlernen. Beim Auto hat sich in den letzten 70 Jahren in der Bedienung und in den Möglichkeiten wenig verändert. Das Autofahren wurde schneller, bequemer und günstiger, aber noch immer fährt man damit primär von A nach B, besitzen alle Autos ein Steuerrad und es ist gesetzlich festgelegt, wie Gas- und Bremspedal im Auto angeordnet sein müssen. Ganz anders bei der sich noch immer rasch weiter entwickelten Digitaltechnologie. Hier wird zwar die Nutzung bestehender Funktionen immer einfacher, dafür werden die Möglichkeiten immer zahlreicher und abstrakter. Reichte es 1995 zu wissen, wie Daten auf eigenen Datenträgern abgespeichert werden müssen, so liegen heute Daten in verschiedenen Cloudspeichern verteilt und Nutzerinnen und Nutzer sollten den Unterschied zwischen simplem Speichern, Synchronisieren und Datensichern kennen, um nicht plötzlich die Resultate tagelanger Arbeit zu verlieren. Wer - so das Konzeptwissen-Argument (Biblionetz:a01047) - die grundlegenden und seit mehr als 50 Jahren stabilen Konzepte der Informatik einmal begriffen hat, wird es einfacher haben, rasch ändernde Technologien und noch rascher ändernde Werkzeuge für sich nutzbar zu machen. Weil Informatik auch Konzepte und nicht wie Autofahren nur eine Fertigkeit vermittelt, gehört Informatik im Gegensatz zum Autofahren zur Allgemeinbildung, die in der Schule vermittelt werden soll.

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